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Kreativität im Zeitalter der KI: Booster oder Bedrohung?

Kreativität im Zeitalter der KI: Booster oder Bedrohung?

Marco Zingler, Geschäftsführer, denkwerk
Marco Zingler, Geschäftsführer, denkwerk

Marco Zingler

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Geschäftsführer von denkwerk

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denkwerk

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Wie geht der Wettstreit zwischen KI und Kreativität weiter? Ist KI ein Kreativitäts-Booster oder schränkt sie die Kreativität ein?

Ende oder Neubeginn der Kreativität?

Scrollt man durch seine Timeline oder seinen Feed in den ‚sozialen‘ Netzwerken und befindet man sich wie ich in der Filterblase der Kreativindustrie, so kommt man gegenwärtig um eine Frage nicht herum: Bedeutet KI das unaufhaltsame Ende der Kreativität und damit letztlich weiter Bereiche der Kreativindustrie. Oder ist am Ende das komplette Gegenteil der Fall und KI läutet gar die Renaissance der Kreativität ein?

Lästige, weil repetitive Tätigkeiten fielen weg, viel handwerkliches Wissen, welches jahrelanges Training erfordert hat, werde überflüssig. Hier würde zukünftig die stets hilfsbereite und unerschöpfliche KI für alle Wissensberufe und besonders für die Kreativberufe einspringen. Geht man diesen Thesen nach und sucht nach konkreten Belegen, wird es relativ schnell sehr dünn und es stellt sich heraus, dass die allzu euphorischen Statements oft parallel zu Geschäftsinteressen formuliert werden. Die großen Tech-Plattformen – so viel steht fest – äußern sich selbstverständlich nicht besonders KI-kritisch. Kein Wunder sollte man meinen, denn sie sind gleichzeitig in dreistelliger Milliardensumme in KI investiert.

Auf der Gegenseite finden sich nicht selten in jeder Hinsicht technologie- und gesellschaftskritische Autoren, die vor allem und jedem warnen und die daher schon rein statistisch sogar ab und zu mal einen Treffer landen. Aber auch von dieser Seite vernehmen wir viel Glaube, Überzeugung und Prognosen und wenig harte und belegbare Fakten.

Hier könnte die kurze Reflexion enden, wenn die Frage selbst nicht zu spannend wäre, um sie unbeantwortet zu lassen. Daher sollen exemplarisch zwei völlig verschiedene KI-Projekte der letzten 12 Monate – pars pro toto – für die Vielzahl der KI-Experimente und -Projekte aus unserem Erfahrungswissen bei denkwerk näher beleuchtet werden, um uns einer tragfähigen Antwort per Realitätscheck zu nähern.

KI in der Praxis I: Im Einsatz für schnelle und effektive Kampagnen

Ein großes Versprechen der KI-basierten Tools ist es, Kreativideen, -Motive und -Kampagnen sehr schnell und effizient generieren bzw. prompten zu können. Und in diesem Bereich sind in den letzten beinah zwei Jahren sehr große Fortschritte durch generative KI erzielt worden.

Solch ein Beispiel aus unserer Praxis ist die israelische NGO Keren Hayesod. Sie ist in Deutschland in der öffentlichen Wahrnehmung nicht sehr bekannt, aber auf internationaler Bühne sehr präsent. Der Grund dafür ist, dass sie sich traditionell an die jüdische Zielgruppe in der Diaspora richtet und es in Deutschland vergleichsweise wenig Adressaten gibt. Das zu ändern und sich an die gesamte deutsche Öffentlichkeit zu wenden, war Ziel der Kampagne, die im Oktober 2023 zum fünften Jahrestag des Anschlags auf die Synagoge in Halle starten sollte.

Doch diese Kampagne sollte nie gelauncht werden, denn einen Tag nach der Auftaktveranstaltung in Halle wurde Israel am 7. Oktober 2023 durch die Hamas aus Gaza heraus terroristisch angegriffen.

Die Kampagne gegen Antisemitismus in Deutschland einfach weiterlaufen zu lassen, als wäre nichts geschehen, war keine Alternative. Die Priorität änderte sich von einem Tag auf den anderen und wir mussten schweren Herzens die getane Arbeit abbrechen, noch bevor sie irgendeinen Effekt generieren konnte. Was tun? Das geringe Budget der NGO war verpufft. Neues Budget stand nicht zur Verfügung. Aber große Medienhäuser in Deutschland haben unter dem Eindruck der schockierenden Ereignisse kostenfrei Werbeplätze freigeräumt. Ein neues Motiv musste her, und zwar schnell.

Entstanden ist in wenigen Tagen und mit ein paar Nachtschichten ein KI-generiertes Motiv, das den Schrecken der Besucher des Nova-Musikfestivals einfängt. Aus Respekt vor den Opfern dieses Terroranschlags wurde darauf verzichtet, sie als Motiv zu (be-)nutzen. Denn es konnte sich dabei ja um Menschen handeln, die möglicherweise verschleppt, missbraucht oder getötet worden waren.

Ohne die Nutzung von generativer KI wäre ein Bildmotiv dieser Qualität unter diesen Bedingungen schwer realisierbar gewesen. KI hat dieser Kampagne Budget und Zeit gespart und der Kreativität einen neuen Weg eröffnet.

KI in der Praxis II: Barrierefreiheit neu gedacht mit A11y-AI

Ein völlig anderes Beispiel aus den letzten 12 Monaten ist das Tool A11y-AI, (sprich: Ally-AI). Dieses Beispiel beleuchtet einen völlig anderen Ansatz von Kreativität in der Nutzung von generativer KI. Large Language Models – wir erinnern uns – antworten auf Prompts mit Sätzen, die Token für Token das nächstwahrscheinliche Wort generieren. Daraus entstehen Wort- und Satzfolgen, die intelligent klingen und oft sogar wirklich hilfreiche Antworten produzieren. Eine „Killer-Anwendung“ dieser KI-Chatbots ist die Übersetzungsfähigkeit. Das funktioniert von einer Sprache in die andere, aber z. B. auch auf der Basis eines technischen Berichts voller unverständlicher Fachbegriffe in natürliche, allgemein verständliche Sprache. Diese Fähigkeit der KI nutzen wir bei denkwerk bei A11y-AI: Das Tool testet Webseiten auf Barrierefreiheit – und das auf smarte Weise. Es produziert ein technisches Ergebnisprotokoll, dass die KI in einen Ergebnisbericht umwandelt aus Sicht einer Person mit konkreten Einschränkungen. Aus einem unpersönlichen Testergebnis wird ein nachvollziehbares menschliches Anliegen.

Es zeigt sich, dass Websitebetreiber, die ein Feedback eines Betroffenen lesen, deutlich empathischer reagieren als beim Lesen eines technischen Reports. Mehr Empathie für Menschen mit Einschränkungen kann also der Schlüssel zu mehr barrierefreien Websites sein, denn Stand heute sind laut einer aktuellen Studie von Aktion Mensch 75 Prozent der führenden deutschen Webshops nicht konsequent barrierefrei. Und das, obwohl ab Juni 2025 empfindliche Strafen auch für Betreiber privater Websites und Shops drohen.

In diesem Beispiel bietet uns die generative KI eine Funktionsweise, die ohne KI schlechterdings gar nicht möglich wäre. Es geht also nicht nur darum, die Produktivität und Effizienz zu steigern, sondern einen ganz neuen Weg zur Problemlösung zu beschreiten, der ohne KI verschlossen war.

Fazit: KI als Werkzeug zur Erweiterung menschlicher Kreativität

In beiden konkreten Beispielen, der Kampagne und dem KI-Tool, stellen wir fest, dass die kreative Leistung der Teams, die an den Projekten gearbeitet haben, im Kern auf ihre menschliche Kreativität zurückgeht – obwohl die KI-Ergebnisse generiert hat, die ohne den Technologiesprung in dieser Form nicht denkbar gewesen wären. Die ‚Kreativen‘ haben sich die richtigen Fragen gestellt und durch die generative KI effizientere oder qualitativere Antworten bekommen. Aber ohne Menschen und ihre Exzellenz und Erfahrung wären beide Projekte undenkbar gewesen.

Es geht also im Kern nicht um einen Kreativwettstreit mit der KI oder sogar um einen Mensch-Maschine-Antagonismus. Und vielleicht ist das, was wir da gerade erleben auch gar kein so neues Phänomen in der Geschichte der menschlichen Nutzung von Technologie und Medien. Es kommt einem wieder Marshall McLuhans Medientheorie aus den Siebziger Jahren in den Sinn. Wenn der Hammer die Erweiterung der Hand, das Rad die Erweiterung der Füße und das Fernsehen die Erweiterung der Augen und des Sehens ist, wäre es nicht folgerichtig den Computer als die Erweiterung des logisch denkenden Gehirns zu betrachten? Und wäre dann die generative KI nicht mehr und nicht weniger als eine Erweiterung der Fähigkeiten des kreativen Gehirns? Aus dieser Perspektive löst sich der künstlich aufgebauschte Widerspruch aus meiner „Social-Platform-Filterblase“ auf. Uns Menschen in der Kreativindustrie ist ein neues Tool zur Erweiterung unserer kreativen Intelligenz erwachsen – die Exzellenz der Ergebnisse aber liegt weiterhin in den Händen der ‚Kreativen‘, die die Fähigkeit besitzen, Gold von Katzengold zu unterscheiden.

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